Im Rahmen unseres solidarisch finanzierten Gesundheitssystems kann ein unangenehmer Zustand auf Kosten der Allgemeinheit nur dann angegangen werden, wenn er durch Etikettierung mit einer Diagnose zur Krankheit erhoben wird.
Abgeschlagenheit, Überlastung, Überdruss bei der Arbeit, Freudlosigkeit aufgrund von Überarbeitung werden erst dann ein Fall für die (solidarisch finanzierte) Medizin oder auch Psychotherapie, wenn die Diagnose Burnout gestellt ist (wobei es sich hier um auch in der „Fachwelt“ umstrittene Diagnosen handelt), viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass Burnout-anfällige Persönlichkeiten durchaus nicht bei sich immer mehr verstärkendem Arbeitsaufwand in einen solchen Zustand hinein geraten („nur wer brennt, kann ausbrennen“), sondern zeitlebens in ihrer Einstellung zur Arbeit von negativen Erfahrungen geprägt sind.
Im Bereich der Psychiatrie, wo das Wägen und Messen noch immer weitgehend zurück steht hinter der Methodik, eine gewisse Liste an Symptomen durch Fachgesellschaften zur Krankheit zu erklären und also der Willkür Tür und Tor geöffnet ist, werden laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger österreichweit aktuell nahezu eine Million Menschen psychologisch und psychiatrisch betreut, gut 90 Prozent von ihnen bekommen Psychopharmaka; aufgrund der Stigmatisierung durch viele psychiatrische Diagnosen ist mit einer Dunkelziffer zu rechnen, so dass manche Fachleute von einer Zahl von bis zu 1,5 Millionen Österreichern ausgehen, die aufgrund angeblicher psychiatrischer Krankheitsbilder medikamentös versorgt werden.
Der Versuch, psychiatrische Erkrankungen in Frühstadien zu erfassen (so die wohlmeinende Interpretation), führt zu immer breiter gefass-ten Krankheitskategorien: Wer nach dem Ableben einer ihm nahe stehenden Person länger als zwei Wochen trauert, qualifiziert sich bereits für eine behandlungsbedürftige depressive Störung.
Insbesondere in der Kinderpsychiatrie ist eine dramatische Entwicklung zu beobachten. Diagnosen wie Autismus und ADHS nehmen um Zehnerpotenzen zu binnen weniger Jahre; wiederum nach Zahlen der Sozialversicherungsträger – mit entsprechender Unschärfe – werden in Österreich mindestens 10.000 Kinder unter 10 Jahren derzeit mit Psychopharmaka behandelt und 30.000 Jugendliche unter 18 Jahren.
Wenn Psychiater und Psychologen behaupten, gut ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen hätte psychiatrische oder psychologische Probleme, ja schon 15 Prozent der Kindergartenkinder hätten Depressionen (sic!!!), liegt es nahe, dass hier Verhaltensweisen als Krankheiten eingestuft werden, die mit pädagogischen, innerfamiliären, schulischen, sozialarbeiterischen . . . Maßnahmen besser und für die Betroffenen langfristig ungleich weniger stigmatisierend behandelt werden könnten. Am erschreckendsten ist wohl die explosionsartige Zunahme der behaupteten Erkrankungen.
Die amerikanische Gesundheitsbehörde veröffentlicht Zahlen, denen zufolge 2011 in den USA etwa 500 Millionen Verschreibungen psychiatrischer Medikamente erfolgten. Unter den zehn meistverschriebenen Medikamenten kam es beinahe bei allen zu Zuwächsen im zweistelligen Prozentbereich gegenüber 2010, die drei erfassten Medikamente gegen ADHS nahmen prozentuell allesamt über 50 Prozent punkto Zahl der verordneten Packungen zu.
Eine der Stärken der Homöopathie liegt bekanntermaßen darin, dass – jeder gute homöopathische Arzt wird das seinen Patienten auch sagen – die hier gestellten Diagnosen lediglich den rechtlichen Gepflogenheiten der Medizin geschuldet sind.
Sie bedeuten nicht eine (sei dies nun stigmatisierend empfunden oder nicht) Zuschreibung einer Erkrankung, sondern die Übereinstimmung mit einer Reihe von Arzneimittel- und Prüfungssymptomen, in der Hoffnung, ein Mittel gefunden zu haben, das die Selbstheilungskräfte des (psychisch) Erkrankten (?) in die Lage versetzt, einen leidfreien Zustand wieder zu erlangen.
Die zunehmend flächendeckende „Behandlung“ zumal von Kindern mit sich noch entwickelndem Gehirn hat wahrlich erschreckende Ausmaße angenommen.
Dr. Kurt Usar |